Was macht die Abfüllung so spannend? Von außen betrachtet ist sie recht simpel.
- Die Flaschen werden von Hand von der Palette genommen und auf das Förderband gestellt
- anschließend automatisch gedreht, auf den Kopf gestellt und sterilisiert, um Verunreinigungen auszuschließen
- jede Flasche wird dann unter Gegendruck befüllt, um den Kontakt von Wein und Sauerstoff zu minimieren. Bis zu 2.400 Flaschen pro Stunde.
- Verschlossen mit Drehverschluss, Vinolok oder Kork
- noch einmal außen gereinigt
- Etikettiert
- und schließlich in Kartons verpackt.
That´s it!
ABER …
… genauer betrachtet ist dieser Moment sehr emotional …
Hat der Winzer im Weingarten noch großen Einfluss auf die Qualität von Traube und Wein, nimmt dieser nach der Ernte rasant ab.
Die Abfüllung ist die Krönung des Winzerjahres.
Schon beim Betreten der Füllanlage spürt man die Spannung in der Luft. Maschinenlärm, Flaschenklimpern, eilige Hände.
Jeder weiß, was er tut.
Jeder Handgriff sitzt.
Nur ich stelle mir jedes Jahr wieder die Frage:
Ist der Wein schon fertig? Oder doch noch nicht?
Hätte man ihm noch ein wenig Zeit geben sollen, eventuell noch ein wenig zuwarten?
Noch einmal verkosten? Den richtigen Zeitpunkt dafür zu erwischen, ist eine Kunst.
„Nein, der Wein ist fertig”, beruhigt mich Andreas. Und ich vertraue meinem Bruder. Schließlich ist er der Kellermeister.
Apropos Kunst.
Seit 25 Jahren sitze ich mit meinem besten Freund jedes Jahr im Keller und verkoste die neuen Jahrgänge. Er Schauspieler an der Josefstadt, ich Önolge. Wir lassen unsere Welten aufeinandertreffen. Die Künstlerwelt und die Weinwelt. Auf den ersten Blick weit voneinander entfernt. Doch nur auf den Ersten. „Nicht nur, weil die Schauspieler dem Wein genauso zugetan sind wie die Winzer“, sagt er lachend.
Dieses Jahr ist alles anders. Wir verkosten vor unseren Computern. Corona sei Dank. Die Weinproben hab ich einfach verschickt. Etwas unpersönlich, aber der Vorteil ist, man könnte auch in Unterhosen, im Pyjama oder nackt probieren. Wir reden über Corona, Theaterschließungen, stellen uns die Frage, ob Wein anders schmeckt, wenn man ihn nackt verkostet und lachen über Homeoffice als Winzer.
„Was der Regisseur für den Schauspieler, ist der Winzer für die Trauben“, sagt er plötzlich. „Regisseur und Winzer müssen beide vorher schon im Kopf haben, was am Ende daraus werden soll. Sie müssen mit den äußeren Einflüssen hantieren, können am Anfang viel, dann immer weniger und irgendwann nix mehr beeinflussen. Und am Ende kommt im besten Fall ein Kunstwerk heraus … wie euer Wein.”
Der Gedanke gefällt mir.
Die Abfüllung vergleicht er mit der Premiere am Theater. Der Moment der Wahrheit. Das Einflussnehmen des Regisseurs hat ein Ende. Der Winzer kann nur mehr zuschauen, wie die Abfüllmaschine die Arbeit eines Jahres in Flaschen füllt und verschließt. Jetzt entscheidet das Publikum ob ihm der Wein schmeckt. Auf diesen Moment arbeiten wir hin. Die Schauspieler und die Winzer.
Wird unser Publikum zufrieden sein? Sind wir zufrieden? Ach, Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden … wie Kunstwerke auch.
Wir haben uns in Schale geworfen. Wir verkosten lieber elegant. Er im Anzug, ich im Anzug. Man kommt ja im Zoom-Zeitalter eh selten dazu. Aber für diesen Anlass …
Und wir schenken die erste Weinprobe ein … Premiere.
Der Vorhang geht auf. Uns schmeckt’s!
Applaus …
… es wird eine lange, philosophische Nacht.
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